Dr. Margareta Halek
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE), Witten

Empfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten von Bewohnern mit Demenz

Herausforderndes Verhalten

Bei der Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz liegt die größte Herausforderung im Umgang mit dem „veränderten“ Verhalten dieser Menschen. Die Verhaltensänderungen werden für die Belastung der Pflegenden, eine Institutionalisierung, ein höheres Risiko für körperliche Beeinträchtigungen, Gewalterfahrungen, Polypharmazie sowie eine erhöhte Mortalität verantwortlich gemacht (Algase, 2006). Eine allgemeingültige Definition des "veränderten" Verhaltens bei Demenz gibt es nicht. Die existierenden zahlreichen Definitionen sind uneinheitlich und drücken unterschiedliche Perspektiven aus (Halek et al. 2006). Die im Auftrag des BMG erstellten „Rahmenempfehlungen zum Umgang mit herausforderndem Verhalten bei Menschen mit Demenz in der stationären Altenhilfe“ empfehlen den Begriff „herausforderndes Verhalten“ (Bartholomeyczik et al 2007). Damit sind Gründe für das Verhalten nicht mehr ausschließlich in der Person mit Demenz zu suchen sondern in zwischenmenschlichen Interaktionen und im direkten Umfeld. Damit kann dasselbe Verhalten je nach Betrachtungsweise herausfordernd oder nicht herausfordernd sein.

Rahmenempfehlungen

Die "Rahmenempfehlungen" bieten mit ihren Grundsätzen und Empfehlungen einen Handlungsrahmen für Pflegende in stationären Einrichtungen der Altenhilfe. Sie basieren auf internationalen Forschungserkenntnissen und der Expertise eines multiprofessionellen Expertenteams. Sie machen Aussagen zum Erkennen und Bewerten des Verhaltens und zu geeigneten pflegerischen Interventionen. Außerdem empfehlen Sie organisatorische Voraussetzungen für die Einrichtungen. Sie sind allgemein formuliert und ihre Umsetzung muss in der Praxis individuell für jede BewohnerIn gestaltet werden.

Sieben Maßnahmen werden für den Umgang mit herausforderndem Verhalten empfohlen (Bartholomeyczik et al. 2007): 1) Verstehende Diagnostik, 2) Anwendung von Assessmentinstrumenten, 3) Validieren, 4) Erinnerungspflege, 5) Berührung, Basale Stimulation, Snoezelen, 6) Bewegungsförderung, 7) Pflegerisches Handeln in akuten psychiatrischen Krisen.

Verstehende Diagnostik

Die Verstehende Diagnostik nimmt einen besonderen Stellenwert ein, auf die sich die erste und zweite Empfehlung bezieht. Sie stellt die Perspektive des Menschen mit Demenz in den Mittelpunkt des Pflegeprozesses und nutzt vielfältige erklärende Aspekte für das herausfordernde Verhalten. Das Konzept der verstehenden Diagnostik interpretiert das Verhalten als Ausdruck eines Bedürfnisses, das es zu ergründen gilt. Als Grundlage für die Strukturierung der Suche nach den zahlreichen Gründe und Anlässe kann das NDB-Modell (need-driven dementia-comprimised behviour model) (Kolanowski et al. 1999) genutzt werden.

Das Modell enthält so genannte Hintergrundfaktoren und direkte Faktoren. Die Hintergrundfaktoren, wie neurologische Aspekte, Gesundheitszustand oder demographische Merkmale einer Person, sind nicht beeinflussbar, können aber die Entwicklung von Verhaltensweisen erklären und auf ein mögliches Risiko für ihre Entwicklung hinweisen. Die direkten Faktoren wie zum Beispiel körperliche Bedürfnisse wie Hunger, Durst, Schmerz oder emotionale Bedürfnisse wie Nähe, Sicherheit sind beeinflussbar und sind wichtige Ansatzpunkte für pflegerische Interventionen.

Umsetzung der Verstehenden Diagnostik

Die als Ergebnis der Verstehenden Diagnostik formulierten Verstehenserklärungen haben immer einen vorläufigen Charakter. Der Verstehensprozess ist eine komplexe Angelegenheit, dessen wesentlicher Aspekt die Mehrperspektivität ist. Sie lässt sich nur im Team erreichen. Die Rahmenempfehlungen empfehlen hierzu Fallbesprechungen, die als eine interdisziplinäre, individuenzentrierte Gesprächsrunde verstanden wird, in deren Mittelpunkt herausfordernde Verhaltensweisen einer Demenzkranken stehen. Fallbesprechungen sollen ein gemeinsames Betrachten problematisierter Verhaltensweisen ermöglichen, ohne dem Druck ausgesetzt zu sein, das Ergebnis sofort in die Tat umsetzen zu müssen.

Voraussetzungen der Rahmenempfehlungen

Die Rahmenempfehlungen haben keinerlei Chance umgesetzt zu werden, wenn nicht die Einrichtung, in der danach gearbeitet werden soll, selbst grundlegende Voraussetzungen erfüllt. Zunächst ist diesen Grundlagen ein Pflegeverständnis vorangestellt, in dessen Mittelpunkt Beziehung als zentraler Inhalt stehen muss, da die Empfehlungen eine Beziehung zwischen Personen mit Demenz und den Pflegenden voraussetzen. Das das Ziel der Pflege darf nicht grundsätzlich darin bestehen, das herausfordernde Verhalten auszulöschen sondern das Wohlbefinden der Pflegebedürftigen zu sichern, das sich möglicherweise in diesem Verhalten äußert. Das Verstehen des Verhaltens steht somit vor jeglichem Handeln. Dieses Pflegeverständnis muss gelebte Philosophie des Hauses sein, auch von den Vertretern der Managementebene. Das bedeutet, dass die leitenden Personen ebenfalls über ausreichende Kenntnisse über die angemessene Pflege Demenzkranker haben. Ein weiterer wichtiger Grundsatz ist das Normalisierungsprinzip, d.h. die Pflegebedürftigen und auch die Demenzkranken sollte die Möglichkeit haben, ein Leben zu führen, das so normal wie möglich ist.