Prof. Christel Bienbein
Private Universität Witten/Herdecke, Witten
(Vertretung durch Peter Tackenberg, DBfK, Berlin)

Nachtdienst im Pflegeheim: Alleinverantwortlich für 52 Menschen

Schon immer beschäftigt die Menschen die Frage, was passiert eigentlich in der Nacht? Die ersten wissenschaftlichen Studien aus dem 19. Jahrhundert untersuchten die Auswirkungen auf die Körpertemperatur und die Pulsfrequenz. Mit der Ausdehnung auf weitere physiologische Parameter wie Blutdruck, Atemfrequenz, Hautwiderstand und Hautelastizität Mitte des 20. Jahrhunderts wurden die Erkenntnisse zur Tagesrhythmik wesentlich erweitert. In den letzten Jahren sind die Auswirkungen der gehemmten Melatoninbildung durch Nachtarbeit Gegenstand intensiver Forschung.

Viele Berufsgruppen (Polizei, Feuerwehr, Drucker, Gebäudereinigung, Hotelgewerbe und Gastronomie,Taxifahrer, Busfahrer, Bäcker) sind nachts regelmäßig unterwegs. Schon früh hatten wissenschaftliche Untersuchungen in den Munitionsfabriken während des ersten Weltkrieg bereits die Auswirkungen von dauerhafter Nachtarbeit auf die Leistungsfähigkeit belegt.

Gleichwohl wurde die Nachtarbeit von Pflegekräften in Deutschland(1) erstmalig im Jahr 1989 von einer Gruppe um Sabine Bartholomeyczik zum Forschungsgegenstand. Die Replikationsstudie aus dem Jahr 2014 zeigte zwar, dass die Zahl der Patienten, die eine Pflegekraft in der Nacht zu versorgen hat, im Durchschnitt gesunken ist, sich die Verhältnisse im Krankenhaus aber auch grundlegend verändert haben. Jetzt laufen nachts Dialysen oder Chemotherapien, und die Unterstützungsbedarfe sind viel ausgeprägter. Wenn Pflegekräfte vor 25 Jahren noch fragten, wer muss morgens gewaschen werden, fragen sie heute, wer braucht keine Unterstützung.

Und wie sieht es in Deutschlands Altenheimen aus? Erkenntnisse darüber zu gewinnen war Ziel des Forschungsprojektes „Die Nacht in deutschen Pflegeheimen“(2). Daten dazu wurden 2015 über einen standardisierten Online-Fragebogen erhoben, der auf einem Internet-Server des Forschungsteams bereitgestellt wurde und über einen QR-Code unter der Internetadresse „http://www.uni-wh.de/nachtwachenstudie“(3) mittels Webbrower aufgerufen und ausgefüllt werden konnte.

Es gabe 1307 Fragebogen-Aufrufe, von denen 276 Bögen in die Auswertung aufgenommen werden konnten. Es haben sich Pflegende aus allen Bundesländern mit Ausnahme von Brandenburg und dem Saarland beteiligt. Das Alter betrug im Durchnitt 44.2 Jahre, die Pflegenden waren durchschnittlich 18.1 Jahre im Beruf - davon 9.9. Jahre im Nachtdienst. Über 50 Prozent der Befragten arbeiten ausschließlich in der Nacht, was ein deutlicher Unterschied zu den Krankenhäusern ist.

Die Probanden arbeiten hauptsächlich in Häusern mit 50 bis 150 Betten, in denen 75 bis 150 Bewohner leben. Durchschnittlich ist eine Pflegekraft in der Nacht für 51.6 Bewohner verantwortlich, von denen sie 40.3 versorgen muss; 8.7 Prozent der Pflegenden versorgen mehr als 100 Personen in der Nacht. In 51.4 Prozent der Einrichtungen gibt es keinen Hintergrunddienst, die Kollegen sind auf sich gestellt. 42 Prozent seiner Zeit verbringt ein alter Mensch in einem Heim mit nur einer Pflegekraft.

Als besonders belastend an der Nacht empfinden Pflegende, dass sie zu wenig Zeit für sterbende Bewohner haben und diese häufig sich selbst überlassen müssen, dass Bewohner nachts aufstehen und stürzen oder den Wohnbereich verlassen und dass dementiell veränderte Bewohner ihre Mitbewohner in der Nachtruhe stören.

Es wird oft behauptet, Patienten würden in der Nacht, am Wochenende oder am Mittwochnachmittag besonders häufig ins Krankenhaus verlegt. Die wird widerlegt durch die Daten aus dem Forschungsprojekt „Reduktion von Krankenhauseinweisungen – innovative Versorgung akut erkrankter Bewohner/innen in Altenheimen“(4). Das genau Gegenteil ist der Fall. Nur eine ganz kleine Gruppe wird in der Nacht eingewiesen. Wenn das passiert, sind die Kollegen alleine in einer Situation, die ihre gesamte Aufmerksamkeit erfordert und müssen die übrigen Bewohner sich selbst überlassen, d.h. 51 Bewohner sind in dieser Zeit unversorgt.

Wir Pflegende sind aufgrund unseres Ethikcodes (5) verpflichtet, die Sicherheit und Gesundheit der Bewohner und Kollegen zu gewährleisten. Damit wir das tun können, brauchen wir

Die Anforderungen der Nacht erfordern die größtmögliche pflegefachliche Qualifikationen und nicht Pflegefachpersonen, die schon seit zwanzig Jahren an keiner Fortbildung mehr teilgenommen haben. Die Fortbildungen müssen so organisiert sein, dass auch die in der Nacht arbeitenden Pflegekräfte teilnehmen können.


Literatur

1. Bartholomeyczik, Sabine; Thomas Dieckhoff; Elisabeth Drerup; Marlind Korff; Monika Krohwinkel; Elke Müller; Christine Sowinski; Angelika Zegelin: Die Nacht im Krankenhaus aus der Sicht der Pflegenden. Eschborn: Verlag Krankenpflege 1993

2. große Schlarmann, Jörg; Christel Bienstein: Die Nacht in deutschen Pflegeheimen 2015. Ergebnisbericht. Department für Pflegewissenschaft, Universität Witten/Herdecke. Witten 2015 (im Netz verfügbar über http://docplayer.org)

3. http://www.uni-wh.de/nachtwachenstudie (im Netz verfügbar über http://wayback.archive.org)

4. Bienstein, Christel; Sabine Bohnet-Joschko: Innovative Versorgung von akut erkrankten Bewohnern und Bewohnerinnen im Altenheim. Forschungsprojekt im Rahmen des vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein - Westfalen (MGEPA NRW) innerhalb des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung NRW Ziel 2 Programm 2007 - 2013 (EFRE). Witten 2015. (im Netz verfügbar über https://www.uni-wh.de/gesundheit/department-fuer-pflegewissenschaft/forschung-und-qualifikationsarbeiten/projekte/#iva)

5. International Council of Nurces: The ICN Code of Ethics for Nurses. Genf 2012 (englischer Text) (deutsche Übersetzung)