Inka Kischkel
Berufsbildungsakademie und Wissenschaft im Gesundheitswesen, Essen

Die Weiterbildung für Adipositas und Bariatric

Einleitung

In den letzten Jahren ist das Thema Adipositas immer mehr in die Öffentlichkeit gerückt. Dies wird unter anderem durch verschiedene Sendungen im Fernsehen wie z.B. Biggest Looser, Secret Eaters usw. deutlich. Es wird bewusst, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein großes Problem in dem Bereich besteht.

Die Fachwelt ist über den stetigen Anstieg von adipösen Menschen schon länger informiert. Auch die Pflegekräfte, egal in welcher Versorgungsart, verzeichnen einen Anstieg von adipösen Menschen im pflegerischen Alltag. Jede Pflegekraft, die einen schwergewichtigen Pflegebedürftigen versorgt weiß, dass die Ansprüche andere sind im Vergleich zu einem Normalgewichtigen Pflegebedürftigen.

Der Prozess der Veränderungen ging langsam und teilweise schleichend von statten. Erst seitdem die Zahl der Adipositaszentren und damit die Anzahl der durchzuführenden bariatrischen Operationen werden die veränderten Anforderungen, auch und gerade an die Pflege deutlich. Eine mögliche Lösung hierfür ist die bariatrische Pflegefachkraft oder die „Pflegeexperten für Adipositas und Bariatric“ wie sie in der BRD zurzeit weitergebildet wird. Die Pflege von bariatrisch operierten Personen ist nur als ein Teilbereich in der Versorgung von Menschen mit krankhaftem Übergewicht zu betrachten.

Im Folgenden wird kurz die aktuelle Situation vorgestellt, um im Verlauf die Besonderheiten in der Versorgung von bariatrisch operierten Personen vorzustellen. In diesem Zusammenhang werden die möglichen Aufgaben einer bariatrischen Fachkraft verdeutlicht.

Adipöse Menschen zu versorgen ist eine besondere Herausforderung. Es gilt zu unterscheiden zwischen einen adipösen Menschen, der eine bariatrische Operation erhält und einem adipösen Menschen, der z.B. bedingt durch einen Unfall in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Jedoch sind die Herausforderungen ähnlich. Während bei spezialisierten Kliniken eine entsprechende Ausstattung vorhanden sein muss, ist diese in anderen Krankenhäusern nicht gegeben.

Die besonderen Herausforderungen liegen in unterschiedlichen Bereichen:

  1. Bauliche Voraussetzungen des Krankenhauses
  2. Hilfsmittel z.B. Toilettenstuhl
  3. Professionalität der Pflegekraft gegenüber dem Patienten
  4. Personelle Situation

Bauliche Voraussetzungen des Krankenhauses

Sie werden vielleicht denken, was hat die Pflege mit den baulichen Voraussetzungen eines Krankenhauses zu tun? Dazu folgendes Frage: Wie schwer glauben Sie ist das Bari Air Bett von KCI ohne Patienten?

Es wiegt ca. 530kg und ist maximal 120 breit. Die Breite kann auf 102cm reduziert werden. Liegt hier noch ein übergewichtiger Patient (max. 380kg) drin hat das gewisse Folgen:

  1. Sie benötigen mehrere Personen um das Bett mit Patient zu transportieren.
  2. Die Breite der Türen der Zimmer ist entsprechend zu prüfen, bevor sie los fahren, damit Sie unterwegs nicht feststellen, dass das Bett nicht durch einen Türrahmen passt.
  3. Fahrstuhl: Trägt der Fahrstuhl das Gewicht. Hier müssen die möglichen Geräte und alle Personen mit berücksichtigt werden.
  4. Dort wo das Bett stehen soll, hält die Statik des Hauses dies aus.

Dies sind wichtige Fragen, die es im Vorfeld zu klären gilt und wo eine Pflegefachkraft im Alltag an ihre Grenzen stößt.

Bei Kliniken, die sich auf bariatrische Operationen spezialisiert haben, sollten die baulichen Gegebenheiten entsprechend vorhanden sein. Im Vorfeld ist zu prüfen, ob der Operationstisch Patienten mit entsprechendem Gewicht tragen kann.

Des Weiteren soll der Patient trotz seines massiven Körpergewichts während der Operation keinen Schaden nehmen. Hier sind die Besonderheiten der Lagerung bei den stark übergewichtigen Menschen zu berücksichtigen.

Auf einer normalen Station muss im Vorfeld geprüft werden, ob die verbreiterten Pflegebetten auch gut durch die Türen passen. Die Pflegebetten für adipöse Menschen sind breiter als die normalen Pflegebetten. Spezialbetten sind teilweise vor dem Transport schmaler einzustellen, wenn sie denn überhaupt durch das Krankenhaus gefahren werden dürfen. Hier ist die Statik des Hauses zu berücksichtigen.

Wie sieht es mit der Toilette aus, wie viel Kilogramm trägt eine Toilette? Sind die Waschräume so konstruiert, dass der adipöse Mensch sich dort gut bewegen kann? Was ist mit den Stühlen, halten die Stühle das Gewicht und sind die Stühle breit genug?

Die hier genannten Beispiele sind nur wenige Fragen, im Gegensatz zu denen die es tatsächlich alle zu berücksichtigen gilt. Es soll verdeutlichen, dass vieles was wir in einem Krankenhaus als selbstverständlich hinnehmen, bei einem höheren Körpergewicht nicht als selbstverständlich hinzunehmen ist.

Eine bariatrische Pflegefachkraft sieht die Gegebenheiten anders und erkennt die Problematiken oft schon früh. Wichtiger, als das Erkennen sind aber mögliche Lösungsvorschläge, die eine bariatrische Pflegefachkraft liefern kann. Sie ist gerade für dieses Patientengut und deren Probleme ausgebildet und kann Hilfreich zur Seite stehen bzw. gute Impulse zur Optimierung liefern.

Hilfsmittel

Die Hilfsmittel, die in einem Krankenhaus zur Verfügung stehen wie z.B. Toilettenstuhl sind für stark übergewichtige Patienten nicht geeignet. Neben dem Gewicht was ein normaler Toilettenstuhl aushält und dem Körpergewicht eines adipösen Patienten liegen Welten. Die Belastbarkeit eines Toilettenstuhls liegt bei ca. 100kg. Wird so ein Toilettenstuhl bei einem übergewichtigen Patienten genutzt und es passiert etwas, dann ist die Pflegefachkraft verantwortlich, die den Patienten auf den Toilettenstuhl gesetzt hat. Im Alltag sind sich die Pflegefachkräfte über diese Beeinträchtigungen oft nicht im Klaren. Der Toilettenstuhl wird einfach genutzt, ob jemand 50kg wiegt oder 150kg. Bei Letzteren wird schnell klar, dass der Stuhl zu klein ist, denn mit hochgestellten Seiten passt der Patient oft nicht drauf.

Auf ein Steckbecken aus zu weichen ist nicht einfach. Einerseits wird der Betreffende inaktiviert und andererseits benötigen sie einen Kollegen um den Patienten gut darauf zu platzieren und um es zu entfernen.

Es gibt für adipöse Menschen viele Hilfsmittel, die innerhalb von wenigen Stunden zur Verfügung gestellt werden. Gerade bei der Lagerung bzw. bei einem Transfer wird häufig gesagt: „Geht nicht, der Patient ist zu schwer.“ Die Nutzung eines Lifters, der für das Körpergewicht zugelassen ist, sollte in jeder Klinik vorhanden sein. Muss ein neuer Lifter angeschafft werden, so sollte hier vorher auf die Belastbarkeit ein Augenmerk gelegt werden. Oft können diese Hilfsmittel auch ausprobiert werden. Natürlich ist dies in der Anschaffung erst einmal teurer, aber die Belastung des Rückens der Mitarbeiter sollte das Wert sein.

Im bariatrischen Bereich ist zu bedenken, dass die Patienten, welche sich operieren lassen oft noch laufen können. Sie haben über Jahre ihre eigene Technik entwickelt wie sie aufstehen können. Dies kann und sollte von der Pflegefachkraft genutzt werden. Auch, hier ist die bariatrische Pflegefachkraft gefragt, um den Kollegen mit Rat und Tat zur Seite zur stehen, aber auch um entsprechende Hilfsmittel bei der Leitung einzufordern.

Bei der hier in Deutschland angebotenen Weiterbildung ist ein Kinästhetikgrundkurs enthalten, der sich auf Problematiken bzgl. adipöse Patienten bezieht. Ein Pflegeexperte für Adipositas und Bariatric kann seinen Kollegen gute Tipps geben, die im Alltag umgesetzt werden können und zu einer Reduzierung der Belastung des Rückens führt.

Ein wichtiger Aspekt bei der Nutzung der korrekten Hilfsmittel ist, die Sichtweise des adipösen Menschen. Diese einzunehmen hilft allen bei der Versorgung. Die bariatrische Pflegefachkraft hat die Besonderheiten und Problematiken in ihrer Weiterbildung gelernt. Sie hat gelernt dies im Alltag zu berücksichtigen und möchte, wie alle anderen auch, die adipösen Menschen nach den neuesten pflegewissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen versorgen. Dazu gehört ein entsprechendes Equipment und ein bisschen Feingefühl im Umgang mit schwergewichtigen Menschen. Denn adipöse Menschen sind gerade was ihr Körpergewicht betrifft sehr sensibel.

Professionalität der Pflegefachkraft

Die rasche Entwicklung der bariatrischen Chirurgie hat die Mitarbeiter der Pflege nicht mitgenommen. Von der Pflege wird verlangt, dass sie mit diesem besonderen Patientengut und bei den neuen Operationsverfahren ihre Arbeit professionell erledigen. Hierzu gehört auch die Einstellung einer jeden Pflegefachkraft gegenüber massiv übergewichtigen Pflegebedürftigen. Oft kamen bzw. kommen Pflegekräfte von anderen Stationen und fragen, wo der extrem übergewichtige Patient liegt. Nur um zu schauen. Sie tun ja nichts. Aber, wie würden sich dieselben Personen fühlen, wenn bei ihnen ein „Tourismus“ einsetzt und alle anderen nur mal vorbeikommen um „zu schauen“. Dies ist diskriminierend und kein respektvolles Verhalten, welches jeder von einer Krankenschwester bzw. Krankenpfleger in der Versorgung erwartet.

Zusätzlich müssen sich übergewichtige Menschen in Krankenhäusern oft Beleidigungen gefallen lassen wie z.B. „den Fetten versorge ich nicht“. Dies ist nur ein harmloses Beispiel, aber es passiert sicherlich so oder anders täglich Krankenhäusern. Hintergrund ist, dass in den Köpfen des Pflegepersonals dieselben Vorurteile gegenüber adipösen Menschen verankert sind, wie in der Gesellschaft. Diese können sicherlich nicht sofort ausgeschaltet werden aber professionell ist das nicht.

Ein professioneller Umgang ist, den Patienten trotzdem zu versorgen und zwar unter Berücksichtigung seiner Bedürfnisse und seines Krankheitsbildes. Und eine seiner Erkrankungen ist die Adipositas. Natürlich stehen die Pflegefachkräfte vor besonderen Herausforderungen bei der Versorgung, aber es wird von der Pflege erwartet, dass wir uns dieser Herausforderung stellen und kreative Lösungsvorschläge entwickeln.

In diesem Bereich ist ein Pflegeexperten für Adipositas und Bariatric besonders gefragt, um den Kollegen dieses Patientengut mit ihren Besonderheiten nahe zu bringen. Nicht nur fachlich zur Seite zu stehen, sondern gerade im Umgang mit den adipösen Menschen auf deren Sichtweise hinzuweisen. Zu benennen, dass dies Menschen sind, die genauso ein Recht auf eine gute Versorgung haben, wie jeder andere auch. Aber, dies ist sicherlich auch ein sehr schwieriger Teil der Aufgaben einer bariatrischen Fachkraft.

Personelle Situation

Die Versorgung von adipösen Menschen ist zeitaufwendiger und intensiver als die von normalgewichtigen Patienten. Auf einer bariatrischen Station liegen viele Menschen, bei denen alles gut geht und die nach einigen Tagen wieder nach Hause gehen können. Aber es gibt auch die Fälle, wo nicht alles glatt läuft. Auf einer bariatrischen Station gibt es idealer Weise überwiegend nur „fitte“ Patienten. Trotzdem müssen die anderen Fälle in den Stellenplan mit einbezogen werden. In der heutigen Situation mit dem Pflegefachkraftmangel ist dies sehr schwierig, aber ein adipöser pflegebedürftiger Mensch ist zeitaufwendiger.

Die durchzuführenden Prophylaxen sind dieselben. Nur lassen sich die vorbeugenden Maßnahmen nicht so einfach umsetzen. Allein das Betten erweist sich oft als eine große Herausforderung. Dies kann bei einem bettlägerigen Patienten oft nur während der Übergabezeit geschehen, da zu dieser Zeit mehr Personal anwesend sind.

Bei der Mobilisation des Einzelnen sollten die von dem Patienten bisher durchgeführten Bewegungen genutzt werden. Die Person ist nicht erst seit heute stark übergewichtig, sondern hat das Gewicht über einen gewissen Zeitrahmen erlangt. Dies bedeutet aber auch, dass der Betroffene eigene Lösungen für sich gefunden hat um z.B. aufzustehen. Diese Ressourcen sollten genutzt werden.

Weitere Aufgaben

Weitere Aufgaben einer bariatrischen Pflegefachkraft bestehen in der Begleitung und Beratung des adipösen Menschen bzgl. der Ernährung und Bewegung vor und nach der Operation. Hier ein Ansprechpartner zu sein ist für den Betroffenen sehr wichtig. Schwierigkeiten schnell zu erkennen und entsprechend mit dem Arzt in Kontakt zu treten, um den adipösen Patienten die für ihn notwendige Hilfe anbieten zu können kann für den Erfolg einer bariatrischen Operation ausschlaggebend sein. Um dies durchführen zu können ist es wichtig, dass der Patient Vertrauen zu dem Pflegepersonal hat.

Den Pflegefachkräften muss bewusst sein, dass der Betroffene sein gesamtes Leben ändern muss, wenn die Operation erfolgreich sein soll. Hierzu gehört neben dem Essverhalten auch das Bewegungsverhalten. Dies ist ohne eine entsprechende Begleitung nach der durchgeführten Operation nicht möglich, sondern hat höchsten Stellenwert.

Die Weiterbildung

In anderen Ländern wie z.B. den USA gibt es die Weiterbildung zur „bariatric Nurse“ schon seit mehreren Jahren. Die Bundesrepublik Deutschland hinkt dem noch hinterher. Zurzeit existiert nur eine Weiterbildungsstätte, die die Weiterbildung zum „Pflegeexperten für Adipositas und Bariatric“ anbietet, die BAWIG in Essen. Diese Weiterbildung umfasst insgesamt 300 Stunden. Sie splittet sich in 250 Theoriestunden und 50 Stunden zum schreiben der Facharbeit. Die Weiterbildung befindet sich nun in ihrem vierten Jahr.

Der Bedarf seitens einer Weiterbildung in dem Bereich Adipositas ist gegeben. Adipositas ist eine Erkrankung, die alle Bereiche des Lebens beeinflusst. Gerade in der Pflege sollten sich viele mit den Besonderheiten der Pflege von adipösen Menschen beschäftigen, denn es sind doch die Pflegekräfte, die überwiegend am Tag den Patienten nach seinen individuellen Wünschen und Bedürfnissen vor dem Hintergrund der vorhandenen Erkrankung versorgen. Die Aufgaben der bariatrischen Pflegefachkraft bzw. des Pflegeexperten für Adipositas und Bariatric sind vielfältig und stellen eine besondere Herausforderung dar. Wir sind uns dessen bewusst und stellen uns diesen Herausforderungen gerne.